Die Martinskirche - Betrachtung und Erkundung von innen

 

 

 

Der Altarraum der Martinskirche nach dem Stadtbrand von 1690 – seine Bedeutung damals und heute

Mit der Einführung der Reformation in Württemberg durch Herzog Ulrich im Jahr 1534 bekam auch die Martinskirche im Laufe der Zeit baulich und theologisch eine protestantische Prägung. In diesem Beitrag soll der Altarraum mit dem Taufstein von 1691, der Kanzel von 1696 und dem Altargitter von 1697 betrachtet und ein Bezug zur Gegenwart hergestellt werden.

Ich bin immer wieder beeindruckt von der Haltung der Kirchheimer, die ihre Stadt nach dem Stadtbrand vom 3. August 1690 sofort wieder aufbauten. Exemplarisch wird dies am raschen Wiederaufbau und der Gestaltung des Altarraums der Martinskirche deutlich und stellt für mich ein Zeichen für ein lebendiges Bürgerbewusstsein mit einer beeindruckenden Glaubenshaltung dar.

Der Tauftisch von 1691

Im November 1691 war die Martinskirche soweit hergestellt, dass wieder gepredigt und zwei Kinder getauft werden konnten.

Der Tauftisch, auf den eine Taufschale und -kanne gestellt werden, wurde am 2. Weihnachtsfeiertag, also am 26. Dezember, 1691 seiner Bestimmung übergeben mit der Taufe der beiden Kinder der Stifter, Johann Jacob Nuöber und Johann Caspar Anckhelin.

Vor einigen Wochen gab es nun eine besondere Taufe; nach den Kindern „Johannes, Kilian Landauers Söhnlein, und Johanna Anastasia, Töchterlein des Apothekers Viktorius Gaupp“, die als erste nach dem Stadtbrand in der Martinskirche am 24. November 1691 getauft wurden, konnte Pfarrer Jochen Maier am 6. September 2008 Helene Carlotta Marie Landauer taufen.

Es war ein historisches und zugleich berührendes Ereignis, dass nach mehr als 300 Jahren wieder ein Kind aus der Familie der Landauers in der Martinskirche getauft wurde.

Die Kanzel von 1696

Mit der Reformation wurden die Gottesdienste vorwiegend Predigtgottesdienste und die Kanzel somit der Mittelpunkt des gottesdienstlichen Raumes. Die Orte der Gestaltung und Austeilung der beiden Sakramente, Abendmahl und Taufe, waren ihr zugeordnet und bekamen in der Martinskirche ihren neuen Ort, Altar im Chorbogen und Taufstein im Langhaus.

An der Kanzel in der Martinskirche fällt zunächst das Kanzeldach auf, das einen besonderen Akzent setzen und die Kanzel zur eindeutigen „Dominante“ des ganzen Kirchenraumes machen sollte.

Über den Gesimsverkröpfungen stehen auf Postamenten Figuren von vier Propheten: Jesaja, Jeremia, Hesekiel und Daniel, dazu Moses und Johannes der Täufer. Sie vertreten den Alten Bund. Auf zurückspringenden Laubwerk-Voluten finden sich 12 kleinere Figuren der Apostel als Vertreter des Neuen Bundes. Auf der Kuppe steht der auferstandene Christus mit der Siegesfahne.

Das Kanzeldach gestaltete der Kirchheimer Schreiner Johannes Benz.

Am Kanzelkorb fällt als Besonderheit auf, dass die figürlichen Reliefs eigentlich einer älteren Stilrichtung angehören als dem des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Vier zeigen die Evangelisten und ein fünftes Relief die Himmelfahrt in flachen Rundbogen-Blendarkaden.

Man weiß, dass an der Kanzel in der Stuttgarter Schlosskirche entsprechende Reliefs angebracht waren, die im 2. Weltkrieg jedoch weitgehend zerstört wurden. Die Stuttgarter Arbeiten stammten von Sem Schlör aus dem Jahr 1563. Die Reliefs in der Kirchheimer Martinskirche haben Hans Jakob und Hans Jörg Knöpfflin geschaffen. Welche geistgewirkten Predigten wurden hier wohl gehalten und haben bleibende Spuren hinterlassen?

Exemplarisch möchte ich an die Predigt von Christian Berg, die er am 29. April 1945 als Stadtpfarrer in der Martinskirche gehalten hat, erinnern. Er hatte für seine Bußpredigt den Text von Lukas 23,41 ausgewählt: „Wir empfangen, was unsere Taten wert sind, denn wir sind billig daran.“ In der überfüllten Martinskirche führte er seinen Zuhörern die Taten der letzten 12 Jahre vor Augen. Auf die Gräueltaten in den Konzentrationslagern wies er schon damals hin: „Aber vorbereiten möchte ich euch auf das, was ihr in nicht ferner Zukunft an grauenvollen Einzelheiten werdet lesen und hören müssen und was in unserer Mitte sich ereignet hat. Es wird das jetzt alles ans Tageslicht kommen und wir werden dann innerlich schamrot werden…“ Am Ende seiner Predigt sagte Berg: „Buße im Volk und Buße nicht zuletzt, sondern zuerst der Christenheit…“ Der Inhalt der Predigt machte betroffen und hinterließ einen nachhaltigen Eindruck, war Anstoß zur Läuterung und forderte zum Mut auf, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.

 

 

 

Das Altargitter von 1697

Bei der Renovierung der Martinskirche im Jahr 1964 wurde der Altar nach einem Entwurf von E.C. Unkauf erneuert. Er wird jedoch nach wie vor von einem Altargitter aus dem Jahr 1697 umfasst. Der Esslinger Schlosser Jakob Christof Hiller übernahm 1696 die Fertigung des Altargitters, das den Altar an allen vier Seiten umgab.

Sein Gerüst bilden schmiedeeiserne Vierkantstäbe, zwischen die Spiralranken mit Blattansätzen eingespannt sind. Die Vierkantstäbe enden in schmiedeeisernen Blumen. An der östlichen Seite des Gitters mit seinen zweiflügeligen Türen öffnet sich das Gitter zu einem Bogen für das Altarkreuz.

Die Spiralranken laufen hier auch über den frei gesprengten Bogen. Das Kruzifix über dem Altargitter stammt von Johann Leßle aus Gmünd. Solche Gitter, die den engeren Altarraum umfassen, finden sich ab dem 17. Jahrhundert in etlichen protestantischen Kirchen im süddeutschen Raum.

Wir wissen nicht, wie es zu der Bildung der Altargitter kam, und können nur vermuten, dass dies mit dem Zweck eines geregelten Umschreitens des Altars zusammenhängt. Vielleicht wollte man auch daran erinnern, dass der Altar einst in dem nur Priestern zugänglichen „Allerheiligsten“ gestanden hatte.

Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf die Verbindung von Altargitter und dem darüber angebrachten Kruzifix lenken: das reiche Rankenwerk und die Blüten reichen bis in die Enden des Kreuzes.

Sie machen das Kreuz Jesu zum „Lebensbaum“, dem „arbor vitae“. Aus dem toten Holz des Kreuzes wird der lebendige Baum, aus dem neues Leben sprießen kann. Die Verbindung von Kreuz und Lebensbaum macht damit in besonderer Weise die christliche Botschaft und Glaubenshaltung deutlich: auf Karfreitag folgt Ostern – nach dem Tod gibt es eine Auferstehung.Die protestantische Kirchenkunst kannte also auch die Vorstellung von „Paradiesgärtlein“ und „Lebensbaum“. Das Abendmahl, das die evangelischen Christen heute öfters und regelmäßiger im Gottesdienst feiern, ist dann die Feier des Lebens.

Momentan wird geprüft, ob das Altargitter wieder vollständig hergestellt werden kann - als eine kunsthandwerkliche Besonderheit, die die theologische Quintessenz des christlichen Glaubens mit seiner Aussage „Kreuz als Lebensbaum“ beispielhaft zum Ausdruck bringt.

Text und Bilder: Willi Kamphausen

Bildunterschriften: wie Fotonahmen

 

Homepage
nächstes Bild